Interview am 22.3.2015 | English (Original)
ichalsmich.com: Hallo Rose!
Rose: Hallo, danke für die Einladung.
ichalsmich.com: Wie alt bist du, was machst du in Wien?
Rose: Ich bin 20 Jahre alt, komme aus den USA und wollte in Österreich eine Pause von meinem Studium machen, um hier besser Deutsch zu lernen und die europäische Kultur kennenzulernen. Ich habe vor 2 Wochen für 3 Monate als Au-pair gearbeitet.
ichalsmich.com: Was waren deine Erwartungen an diesen Beruf?
Rose: Ich hab schon oft babygesittet und immer gerne Zeit mit Kindern verbracht. Wir haben schon von den USA aus mit der Familie in Wien geschrieben. Dabei wurde mir auch schon ziemlich genau gesagt, was mein Aufgabenbereich sein wird.
ichalsmich.com: Welchen Eindruck hat die Familie auf dich erweckt?
Rose: Neben den Eltern, wohnen in ihrem Haus 4 Kinder im Alter von 5 bis 11. Ich wusste sofort, dass sie sehr nett sind. Ich dachte mir, ich hab wirklich Glück so eine Familie kennenlernen zu dürfen. Mir wurde sogar versprochen, dass ich einen Deutschkurs bezahlt bekomme. Im Haushalt wurde hauptsächlich Englisch gesprochen, nur der Vater hat mit den Kindern Deutsch gesprochen.
ichalsmich.com: Und du konntest bei der Familie schlafen?
Rose: Ja, als Au-pair ist das normal, dass man ein Zimmer bekommt. Das ist sogar im Au-pairvertrag geregelt.
ichalsmich.com: Was stand in deinem Vertrag?
Rose: Es war ein Standard Vertrag, 20h Arbeitszeit, dass ich mein eigenes Zimmer bekomme, Essen im Haus ist gratis und, dass die Arbeit sich nur um Kinder dreht, verbunden mit leichter Hausarbeit.
ichalsmich.com: Was wurde dir persönlich gesagt, dass du tun musst?
Rose: Kinder abholen vom Kindergarten und der Schule, auf die Kinder aufpassen wenn die Eltern nicht zuhause sind. Mit Hausaufgaben helfen und mit ihnen Englisch sprechen.
ichalsmich.com: War die Rede von sonstigen Aufgaben?
Rose: Nein.
ichalsmich.com: Wie war es dann wirklich?
Rose: Ich hab nicht gewusst, dass der Vater in der Schweiz arbeitet und deshalb nie zuhause ist. Ich war also mit 4 Kindern und einer, quasi unter der Woche alleinerziehenden, Mutter zuhause, welche zusätzlich 20h arbeitete. Abgemacht war daher, dass ich mich, während ihrer Abwesenheit, um die Kinder kümmere.
ichalsmich.com: Wie war dein Arbeitsalltag?
Rose: Um 06:30 musste ich bereits in der Küche stehen und Geschirr in die Spühlmaschine ein- und ausräumen. Dann hab ich der Mutter geholfen Frühstück für die Kinder zu machen. Nach dem Frühstück ging die Mutter in die Arbeit. Der 11-jährige Bub konnte alleine zur Schule gehen. Der 7- und die 9-Jährige sind zusammen alleine zur Schule gegangen, die nicht weit von zuhause entfernt ist. Um 7:00 brachte ich das jüngste Mädchen (5 Jahre) zum Kindergarten. Ab 7:45 hatte ich wieder frei bis 13:00
ichalsmich.com: Durftest du in der Zeit tun, was du willst?
Rose: Ja, ich durfte tun was ich will, auch außerhalb des Hauses. 12:45 holte ich das 7-jährige Kind von der Volksschule ab. Die 9-Jährige hatte danach immer außerschulische Aktivitäten. Um ca. 13:30 waren wir wieder zuhause und haben gegessen.
ichalsmich.com: Wer hat gekocht?
Rose: Ich hab gekocht, ab und zu war noch Abendessen im Kühlschrank, das wir aufgewärmt haben. Ich bin keine gute Köchin, doch die Kinder mochten am liebsten Pizza, Nudeln, Schnitzel. Also meistens gab es einfache Mikrowellengerichte.
ichalsmich.com: Was geschah nach dem Essen?
Rose: Es war jeden Tag anders. Ich war zuhause mit den Kindern, die schon da waren, und wartete, bis die Mutter meist so gegen 16:30 mit der 5-Jährigen nach Hause kam. Dann musste Sie allerdings wieder weg, um die Kinder mit dem Auto zu außerschulischen Aktivitäten zu führen und wieder abzuholen. Meistens ist sie gegen 20:00 wieder mit dem 11-Jährigen und der 9-Jährigen zurück gekommen. Der 7-jährige Bub und das 5-jährige Mädchen waren während dieser Zeit meist mit mir zuhause, da sie nicht alleine sein durften.
ichalsmich.com: Du warst also quasi immer für sie verantwortlich?
Rose: Ja.
ichalsmich.com: Was passierte ab 20:00?
Rose: Ich konnte zum Abendessen bleiben und war dann fertig mit der Arbeit. Somit konnte ich auch das Haus verlassen.
ichalsmich.com: Also musstet du von 6:30 bis 07:45 Uhr (1,25 Stunden) und von 12:45 – 20:00 Uhr (7,25 Stunden) arbeiten? 8,30 Stunden, das ist mehr als ein Vollzeitjob – stand das so im Au-pairvertrag?
Rose: Nein, abgemacht waren 20h in der Woche. Die Arbeit war nicht so schwer, aber ich musste trotzdem zuhause bleiben. Das war irgendwie wie ein Gefängnis.
ichalsmich.com: Waren deine Arbeitszeiten immer geregelt?
Rose: Ja, bis auf Freitag. An diesem Tag war es immer unterschiedlich. Einmal sagte mir die Mutter, ich könne das Haus verlassen, sobald eines der älteren Kinder zuhause ist. Somit konnte ich manchmal schon um 14:00 raus. Doch als ich das machte, war sie am nächsten Tag sehr komisch.
ichalsmich.com: Inwiefern?
Rose: Sie war sehr ernst, kurz angebunden und distanziert.
ichalsmich.com: Das Miteinander mit ihr war also etwas kompliziert?
Rose: Manchmal war sie sehr freundlich und stellte mir persönliche Fragen. Zum Beispiel hat sie mich gefragt, ob ich heute ein Date habe. Ich wusste nicht ob und wie ich darauf antworten sollte. Irgendwie war sie ja meine Chefin und ich musste professionell bleiben, doch in den Situationen wo es persönlich wurde, war mir das mehr unangenehm. Es gab keine klare Trennung zwischen Privatem und Beruflichem. Vielleicht wird das ja auch erwartet als Au-pair. Viele meiner Au-pair-Freundinnen haben entweder ein professionelles, oder ein freundschaftliches Verhältnis. Bei mir war es von Tag zu Tag verschieden. Ich wusste nicht, wie ich mich gegenüber ihr verhalten sollte.
ichalsmich.com: Hast du dich bezüglich der Arbeitszeiten beschwert?
Rose: Nein, ich hatte Angst, weil ich gedacht habe, die Arbeit ist wirklich nicht schwer und wenn ich etwas sage, ist die Mutter böse und ich wollte nicht die Familienatmosphäre stören. Ich hab keine andere Möglichkeit gehabt. Ich hätte sagen können, dass ich weniger arbeiten will, doch wer bleibt dann mit den Kindern zuhause?
ichalsmich.com: Du hattest also ein erhöhtes Verantwortungsgefühl für die Kinder?
Rose: Ja. Ich hatte auch Angst, dass ich meinen Job verliere und zurück nach Amerika gehen muss.
ichalsmich.com: Du hast das Visum also nur auf Grund deiner Anstellung bekommen?
Rose: Ja, genau. Zum Anderen mag ich die Kinder sehr und wollte sie nicht enttäuschen. Keine Ahnung… (lacht verlegen)
ichalsmich.com: Wie war das Miteinander mit der Mutter? Sie scheint etwas überfordert mit den Kindern und der Arbeit?
Rose: Die Mutter und ich hatten wirklich nicht viel gemeinsam. Oft, wenn wir gesprochen haben, hat sie nur über die Arbeit und ihre Arbeitskollegen gejammert. Ich wusste aber nicht, von welchen Personen sie sprach, und konnte immer nur zustimmen. Sie hat viele Dinge gesagt, die ich wirklich nicht verstanden habe.
ichalsmich.com: Was zum Beispiel?
Rose: Zum Beispiel hat sie gesagt, Kinder sollten nicht wo anders übernachten. Oder es durften auch keine Freunde bei ihnen übernachten. Die Kinder waren sehr isoliert. Sie hatten auch an Geburtstagen nur mit der Familie gefeiert, ohne Freunde. Ich hab mir auch oft gedacht, vielleicht bin ich verrückt, und das ist auch okay so.
ichalsmich.com: Wie war dein Zimmer, warst du dort in deiner Freizeit ungestört?
Rose: Ja, das war okay. Die 5-Jährige ist manchmal reingekommen und wir haben gespielt. Das Problem war nur, dass das Zimmer so dünne Wände hatte und ich nicht mit meinem Vater reden konnte, weil es alle im Haus gehört hätten. Wenn ich spät vom Ausgehen nach Hause gekommen bin, ist am nächsten Tag die Mutter manchmal gekommen und hat komische Fragen gestellt.
ichalsmich.com: Welche Fragen?
Rose: Zum Beispiel ob ich Eislaufschuhe brauche. Ich meinte nein, weil ich nicht Eislaufen kann. „Ah okay“ meinte sie. Nach einer halben Stunde ist sie wieder gekommen und hat mir gesagt ich muss um 11:00 das Kind abholen, obwohl ich das schon wusste. Diese ganzen kleinen Dinge sind für sich eigentlich recht harmlos. Aber diese ganzen Besuche in meinem Zimmer fanden nur dann statt, wenn sie wusste, dass ich erst spät heimgekommen bin.
ichalsmich.com: Hat sie sich vielleicht einfach nur Sorgen gemacht?
Rose: Sie wusste ja, dass ich spät nach Hause gekommen bin und sehr müde war.
ichalsmich.com: Du hattest also das Gefühl sie nervt dich absichtlich?
Rose: Ja
ichalsmich.com: Hattest du das Gefühl sie hat deine Privatsphäre nicht respektiert?
Rose: Ja, das ist natürlich schwer, weil ich in Ihrem Haus wohne. Ich wollte immer wo anders sein oder auswärts schlafen, weil ich nur dort wirklich Ruhe hatte. Besonders am Wochenende, weil mein Zimmer direkt über der Küche war und ich immer alles gehört habe. Die meisten Wochenenden war ich bei Freundinnen und Freunden. Eines Tages bin ich nach einem Wochenende bei Freunden am Sonntag nach Hause gekommen und plötzlich war mein Zimmer komplett aufgeräumt. Sie hat meine Jacken, Schuhe und Taschen wo anders hin gehängt. Das war mir sehr unangenehm, weil ich auch Zigaretten in der offenen Tasche hatte und ich nicht wollte, dass sie wissen, dass ich rauche. Sie meinte, dass etwas mit den Rohren in meinem Zimmer nicht in Ordnung war und daher ein Installateur in meinen Raum war. Deshalb hätte sie etwas aufgeräumt. Sie hätte mir das auch vorher sagen können, damit ich meine privaten Gegenstände selbst wegräumen hätte können.
(Kurzes Schweigen)
Rose: In der 4. Wochen war ich eine ganze Woche mit allen Kindern alleine, da die Mutter freiwillig für die Schule ihrer Kinder für einen Schulausflug in ein anders Bundesland musste.
ichalsmich.com: Also war eines von den Kindern mit ihr dort?
Rose: Nein, alle Kinder waren bei mir, sie ist freiwillig mitgegangen.
ichalsmich.com: Du warst also komplett auf dich gestellt?
Rose: Die Nachbaren haben geholfen die Kinder mit dem Auto hin und her zu führen.
ichalsmich.com: Und wer kümmerte sich um den Haushalt?
Rose: Ich war komplett alleine und musste die Kinder wecken, Frühstück, Mittagessen und Abendessen machen, Jause für die Kinder machen, Staubsaugen, Böden wischen, abspülen. Und das zusätzlich zu meinen normalen Aufgaben, die ich schon beschrieben habe.
ichalsmich.com: Hat die Mutter dich gefragt, ob du das machen kannst oder wurdest du mit der Situation etwas überrannt?
Rose: Nein, sie hat mir am Mittwoch der Vorwoche ganz beiläufig gesagt, dass sie nächste Woche nicht hier ist.
ichalsmich.com: Sie hat dich nicht gefragt, sondern dich nur darüber in Kenntnis gesetzt?
Rose: Ja, ich hatte nicht das Gefühl, dass es eine andere Option gibt. Ich dachte nur, dass ich die Einzige wäre, die das konnte und es so kurzfristig niemanden gibt, der dazu bereit wäre.
ichalsmich.com: Wie war diese Woche für dich?
Rose: Ich hatte noch nie in meinem Leben so viel Stress und Verantwortung. Jetzt weiß ich, dass ich niemals 4 Kinder haben will. (lacht)
ichalsmich.com: Gab es Zwischenfälle in dieser Woche?
Rose: Die Regeln Zuhause waren, dass die Kinder nicht Fernsehen oder andere elektronische Unterhaltungsgeräte wie Tablets, Computer oder Handys benutzen durften. Das durften sie nur an Wochenenden, wenn Mutter und Vater zuhause waren. Das Problem war, dass Mutter und Vater verschiedene Regeln hatten. Die Kinder riefen den Vater an und fragten, ob sie Fernsehen durften. Er meinte ja, doch ich war zerrissen zwischen den beiden Erziehungspersonen und wusste nicht, nach welchen Regel ich die Kinder behandeln soll. So haben wir sehr viel Zeit miteinander verbracht.
ichalsmich.com: Was habt ihr dann immer gemacht, so ganz ohne Fernsehen und Computer?
Rose: Wir haben Karten- und Brettspiele gespielt, viel Zeit mit Lego spielen verbacht. Die Kinder hatten auch viele Kurse nach der Schule wie Musikunterricht, Sport usw. Ohne das, hätte ich das wohl nicht geschafft.
ichalsmich.com: Hat die Mutter dich gelobt nach der Woche?
Rose: Sie meinte sie ist froh, dass ich die Woche überlebt hab.
ichalsmich.com: Hattest du in der Woche auch Freizeit?
Rose: Nein, der Schlaf war meine einzige Freizeit. In der Zeit, wo die Kinder in der Schule und im Kindergarten waren, musste ich mich um den Haushalt kümmern. Ich war immerhin die einzige Erwachsene zuhause.
ichalsmich.com: Zumindest hast du Geld für Überstunden bekommen?
Rose: Ich hab zusätzlich 100€ für diese ganze Woche bekommen.
ichalsmich.com: Zusätzlich zu was?
Rose: Zusätzlich zu den 405 € im Monat, das ist das Minimum, das eine Au-pair bekommt.
ichalsmich.com: Du hast ja doppelt so viel gearbeitet wie du eigentlich solltest. Hast du dafür auch Überstunden bekommen?
Rose: Nein
ichalsmich.com: Und warum hast du das nie angesprochen?
Rose: Es war immer so unterschiedlich. Ich hab Angst gehabt, wie sie darauf reagieren würde. Ich wollte nicht ausziehen, ich wusste nicht wie ich in kurzer Zeit eine neue Bleibe finden konnte. Aber ich wusste auch nicht, ob eine neue Familie dann besser wäre. Ich dachte immer, dass ich einfach nur dramatisch bin und es an mir liegt. Ich hab auch Geschichten von meinen Freundinnen gehört und wusste daher, dass es denen teilweise noch schlechter geht. Zum Anderen mochte ich die Kinder und wollte sie nicht enttäuschen. Sie hatten schon eine Au-pair, welche die Familie nach 3 Monaten verlassen hat. Warum, wurde mir nicht gesagt. Ich habe mir gedacht, ich möchte nicht wie diese Au-pair sein, ich wollte für die Kinder eine feste Bezugsperson sein. Deshalb war alles sehr kompliziert, da ich mich so verantwortlich für sie gefühlt habe.
ichalsmich.com: Hattest du das Gefühl du musstest die Rolle der Mutter übernehmen?
Rose: Ich hatte das Gefühl eine Person zu sein, dem die Kinder vertrauen können und, auf die sie sich verlassen können, gerade auch deshalb, weil sie keine anderen Freunde hatten.
ichalsmich.com: Ist dir in der Zeit als Au-pair sonst noch etwas ungewöhnliches passiert?
Rose: Ich hatte ein Problem mit dem 9-jährigen Mädchen, da sie oft nicht zugehört hat und mich nicht respektierte. Sie war eines Tages in ihrem Handy versunken und hat mir nicht zugehört. Da die Mutter nicht wollte, dass die Kinder unter der Woche elektronische Geräte verwenden, habe ich sie gebeten es wegzulegen. Sie wollte aber nicht und hat mich ignoriert. Am Abend, als die Mutter nach Hause gekommen ist, hab ich ihr gesagt, dass wir ein Respektproblem haben und ihr die Situation genau geschildert. Die Mutter hat das Mädchen zu sich gerufen. Am Anfang haben sie ein normales Erziehungsgespräch geführt, doch plötzlich sagte die Mutter zum Mädchen: „Get the belt!“
Das Mädchen musste nach oben ins Zimmer gehen, um einen Gürtel zu holen. Als sie damit unten ankam, nahm die Mutter dem Kind den Gürtle weg und bat das Mädchen die Hände auszustrecken. Sie schlug ihr 2-3 Minuten mit dem Gürtel auf die Hände und Arme. Das Mädchen war ganz komisch, in der Mitte hat sie plötzlich kurz zu lachen begonnen. Ich war total verwirrt und ich wusste einfach nicht, was da gerade passierte. Die Mutter hat dann fester geschlagen, und das Lachen verstummte. Ich konnte sehen, dass sie Schmerzen hatte. Am Ende hat sie dann geweint.
Die Mutter war fertig und hat sie ins Zimmer geschickt. Ich war sehr verstört über dieses Erlebnis und war sehr eingeschüchtert. Ich wusste schon ein paar Wochen vorher, dass das Mädchen in Therapie war.
ichalsmich.com: Hast du darüber sonst noch mit jemandem gesprochen?
Rose: Nur mit meinen engsten Au-pair-Freundinnen. Die fanden das auch sehr seltsam.
ichalsmich.com: Hast du mit dem Gedanken gespielt das der Polizei zu melden?
Rose: Ich hab das nur einmal in diesen 3 Monaten gesehen und ich habe keine Ahnung wie die rechtlichen Regelungen in Österreich sind. In den USA ist das erlaubt, solange es keine Spuren hinterlässt.
ichalsmich.com: Und es gab bei dem Mädchen auch keine Spuren?
Rose: Mir ist nichts aufgefallen.
ichalsmich.com: Hattest du Mitleid mit ihr oder wolltest du ihr helfen?
Rose: Ja ich hab mir gedacht, ich kann nie wieder zur Mutter gehen und etwas negatives über das Kind sagen.
ichalsmich.com: Hast du dich etwas schuldig gefühlt?
Rose: Ja, sehr. Ich hätte nichts sagen – und das Problem selbst regeln – sollen. Ich hab mich machtlos gefühlt und habe beschlossen, nichts mehr in diese Richtung der Mutter zu sagen.
ichalsmich.com: Du sagtest zuerst du bist so dramatisch, findest du das jetzt wo wir darüber ausführlich sprechen immer noch?
Rose: Es ist schwer zu glauben, dass das alles wirklich so passiert ist, aber ich will nicht in die Opferrolle schlüpfen.
ichalsmich.com: Du hast die Familie nun verlassen, wie ist das gelaufen?
Rose: Der Vater hat einen Job in Wien gefunden und war öfters zuhause. Ich dachte das wäre ein guter Augenblick das anzusprechen. Ich sagte den Beiden, dass ich nach dem Abendessen mit ihnen ein Gespräch führen möchte.
ichalsmich.com: Wie bist du die Sache angegangen?
Rose: Ich hab davor schon eine Familie gesucht und gefunden, bei denen ich arbeiten kann. Ich hatte Angst, dass sie mich sofort ausquartieren. Das wäre sehr schlimm gewesen, denn dann hätte ich zurück nach Amerika müssen. Wir sind um den Tisch gesessen und ich hab ihnen gesagt, dass 4 Kinder zu viel für mich sind. Ich meinte, ich würde sehr gerne helfen für die Familie eine neue Au-pair zu finden. Dieses Gespräch ist ziemlich schief gegangen. Die Mutter wurde sehr böse und hat nichts gesprochen, mir nicht einmal in die Augen gesehen. Ich habe nur mit dem Vater gesprochen. Er war sehr überrascht, dass ich schon eine andere Familie gefunden habe. Er hatte keine Ahnung über meine Arbeit, da er nie da war. Er wusste auch nicht, wie es mir in seinem Haus ging. Dann hab ich gesagt, dass ich laut Vertrag noch eine Woche arbeiten muss, doch ich würde so lange arbeiten, bis sie eine neue Au-pair finden würden.
ichalsmich.com: Wie haben sie darauf reagiert?
Rose: Sie haben nur „OK“ gesagt und gemeint, wir müssen die Tage nochmals reden.
ichalsmich.com: Wie sind die folgenden Gespräche verlaufen?
Rose: Ich hab mit der Mutter gesprochen und sie wollte wissen warum ich die Familie verlassen möchte. Ich hab aber nur gesagt, dass es mir zu viel war und ich in eine Familie gehen werde, die ein Einzelkind hat. Ich wollte keinen unnötigen Staub aufwirbeln. Sie hat mich dann nur kritisiert und meinte, dass ein Einzelkind mehr Arbeit wäre, als 4 Kinder. Sie meinte, ich hätte ihr sagen sollen wenn ich das Haus verlasse, obwohl ich mich immer verabschiedet und gesagt habe, dass ich das Haus verlasse.
ichalsmich.com: Hattest du das Gefühl sie will dir ein schlechtes Gewissen einreden?
Rose: Ja, sie hat gesagt es ist egal ob ich weg bin. Sie schafft soundso alles alleine. Die Kinder kommen gut ohne mich klar, es sei Ihnen egal, ob ich hier bin. Sie meinte dann, dass mich vielleicht die 5-Jährige vermissen wird.
ichalsmich.com: Hattest du das Gefühl sie wolle dich emotional erpressen?
Rose: Ja, genau sie hat sich in die Opferrolle begeben. Das Schlimmste Gefühl für mich war, dass ich die Kinder enttäusche und sie denken würden, dass ich sie verlasse, weil ich sie nicht mag. Ich hab keine Ahnung, was die Eltern den Kindern gesagt haben. Ich will nicht, dass sie denken, dass ich ein schlechter Mensch bin oder, dass es an ihnen liegt. (blickt beschämt zu Boden)
ichalsmich.com: Wann bist du ausgezogen?
Rose: Ich hab im Gespräch mit dem Vater nochmals gesagt, dass ich gerne noch ein, zwei Wochen arbeiten würde, da ich die Familie nicht im Stich lassen wolle. Der Vater meinte, seine Frau hätte ihm gesagt, dass ich morgen ausziehen würde. Aber das habe ich niemals gesagt. Ich wusste sofort, ich bin hier nicht mehr willkommen. Ich hab am nächsten Tag meine Sachen gepackt und bin ausgezogen.
ichalsmich.com: Hast du dich rausgeekelt gefühlt?
Rose: Ich hab es als sehr unangenehm empfunden. Ich war 3 Monate quasi ein Teil dieser Familie und nach dem Gespräch war ich für sie keine Freundin mehr sondern wurde wie eine Verräterin behandelt.
ichalsmich.com: Wie war eigentlich der Deutschkurs, der dir versprochen wurde?
Rose: Die Familie hat einen Kurs ausgewähl. Ich hab mir darüber anfangs keine Gedanken gemacht, da sie mir gesagt haben sie würden alles bezahlen. Doch als ich in Österreich war, haben sie mir den Vertrag vorgelegt, in dem stand, dass ich die Hälfte der Kosten übernehmen müsse. Doch sie haben gesagt sie bezahlen das trotzdem. Der Kurs ging 3 Monate jeweils 5h in der Woche.
ichalsmich.com: Musstest du dann schlussendlich doch bezahlen?
Rose: Ja, das Thema kam aber erst auf, als ich sagte, dass ich in eine andere Familie möchte. Ich musste dann 162,50 € bezahlen, obwohl sie mir versprochen hatten, dass ich dafür nichts bezahlen muss.
ichalsmich.com: War die Familie so arm, dass sie auf dieses Geld angewiesen waren?
Rose: Nein, Vater und Mutter sind sehr wohlhabend und die Mutter arbeitet auch nur der Beschäftigung wegen. Sie haben einige Immobilien / Ferienhäuser auf der Welt, die sie teilweise vermieten.
ichalsmich.com: Das war also deiner Meinung nach nur eine bösartige Aktion?
Rose: Ja, da sie genau wissen, wie sehr ich um jeden Euro kämpfen muss.
ichalsmich.com: Bist du nun böse auf die Eltern?
Rose: (seufzt) Hmmm… Vielleicht ist böse ein zu starkes Wort. Ich bin enttäuscht, wie sie mit der ganzen Situation umgegangen sind. Aber nun ist es vorbei und ich hab alles mir Mögliche getan und muss mich damit zurechtfinden. Das war jedenfalls ein Kapitel in meinem Leben in dem ich auch sehr viel über Grenzen gelernt habe. Es ist wichtig etwas zu sagen, auch wenn man sich damit unbeliebt macht. Man muss gleich sagen wenn man unzufrieden ist, um die Situation sofort zu ändern. Es gab auch viele schöne Momente mit den Kindern und ich denke auch, dass sie viel Positives von mir mitbekommen haben. Ich sollte nur die positiven Sachen in Erinnerung behalten.
ichalsmich.com: Hast du das Gefühl, dass man als junge Au-pair etwas ausgenützt wird, da man in eine fremde Umgebung kommt und auch in diesem Alter noch nicht die Selbstsicherheit besitzt zu sagen, was man will?
Rose: Besonders als ich hergekommen bin, wollte ich der Familie etwas beweisen. Man denkt die Au-pairstelle ist nur ein Jahr und man muss einen besonderen Eindruck hinterlassen. Daher stellt man seine eigenen Bedürftnisse zurück.
Vor Kurzem hat mir eine Au-pairfreundin eine sehr treffende Metapher gesagt:
„We’re the things that you find in thrift stores: the things that are still really nice but you can buy really cheap. We’re that really good deal that your cheap aunt found.“
ichalsmich.com: Was würdest du anderen Au-pairs gerne sagen?
Rose: Wenn man mit etwas unzufrieden ist, sollte man das sofort zur Sprache bringen. Man sollte die Probleme nicht zusammenkommen lassen, denn je mehr sich anhäuft, desto weniger ist man bereit darüber zu sprechen. Oft gibt es auch Dinge, für die man keine Verantwortung übernehmen kann aber sich trotzdem damit belastet. Man sollte sich nicht zu viele Sorgen machen, ob die Famlie dich mag, oder was man zusätzlich tun kann damit man gemocht wird. Man sollte vorsichtig sein, es gibt solche und solche Familien. Meine neue Familie ist super und ich genieße meine Zeit in Österreich jetzt sehr.
ichalsmich.com: Vielen Dank Rose, ich wünsche dir alles erdenklich Gute für deinen weiteren Aufenthalt in Österreich.
Rose: (lächelt) Danke!
Für Fragen an Rose und sonstige Rückfragehinweise bitte eine Mail an:
ich@ichalsmich.com