Tag 4 – Die LebensmittelretterInnen

Mittlerweile verläuft mein Experiment “30 Tage ohne Geld” ziemlich entspannt. Ich nähre mich noch von den gedumpsterten Lebensmitteln des 1. und 2. Tages. Heute gab es ein feines Frühstück, für das ich all meine Prinzipien über Bord werfen musste, da ich als Veganer eigentlich nichts esse, das ein Gesicht trägt.

gesicht

Am Nachmittag traf ich Eva Maria Bruschek, Obfrau des Vereins “Die LebensmittelretterInnen”. Auf einer schattigen Parkbank am Karlsplatz haben wir über die Lebensmittelverschwendung in Wien gesprochen. Ihr Ansatz ist es, den Weg durch die Tonne zu umgehen, indem sie das überschüssige Obst und Gemüse direkt bei den HändlerInnen abholen.

ichalsmich: Hallo Eva Maria, erzähl mal, was sind die LebensmittelretterInnen?

Eva Maria: Die LebensmittelretterInnen sind ein Verein mit ungefähr 150 Mitgliedern, die, wie der Name schon sagt, Lebensmittel retten. Wir holen derzeit vom Brunnenmarkt, Viktor-Adler-Markt, von einer Bäckerei, wir haben eine Kooperation mit Rita bringts…

ichalsmich: Was holt ihr denn ab?

Eva Maria: Obst, Gemüse das nicht mehr verkäuflich ist. Weil die Birne braun ist, die Tomate ein wenig weicher, die Banane Flecken hat, solche Sachen. Bei Rita bringt’s sind es Sachen, die vom Catering übrig bleiben und bei der Bäckerei das Brot – logischerweise.

ichalsmich: Warum wird das nicht wiederverwertet?

Rita bringt’s verkauft teilweise zwei zum Preis von einem, aber das funktioniert auch nicht wirklich. Denen ist es wichtig, dass es etwas Sozialem zugute kommt. Den Bäckereien ist es egal, die schmeißen tonnenweise weg, das sind manchmal bis zu 7 Säcke pro Bäckerei. Die Leute, die am Brunnenmarkt einkaufen, wissen teilweise einfach nicht, dass beispielsweise eine Tomate ,die ein wenig weicher ist, trotzdem noch in Ordnung ist.

ichalsmich: Wäre es denn unwirtschaftlich für diese Betriebe, das Übriggebliebene oder Unschöne weiter zu verarbeiten – z.B. zu Marmeladen?

Eva Maria: Das sind Standler, die verkaufen nur und verwerten nicht. Vom Gefühl her sind sie froh, es taugt ihen, dass es uns gibt und wir es weitergeben – klar, sie haben ja auch dafür bezahlt und schmeißen auch ungerne weg. Was ich nicht verstehe sind die Bäckereien, die backen am Abend noch ein frisches Fladenbrot.

ichalsmich: Machen die Bäckereien am Abend so viel Umsatz, dass das notwendig ist?

Eva Maria: Natürlich, die Leute sind eben so verwöhnt, dass bis zum Ladenschluss noch etwas da sein muss. Wenn das Fladenbrot beim Bäcker A nicht da ist, gehen die Leute eben 10 Meter weiter zum Bäcker B.

ichalmich: Aber ProduzentInnen oder VerkäuferInnen haben ja auch das Recht, ihre Lebensmittel wieder wegzuschmeißen – oder nicht?

Eva Maria: Nein, das glaube ich nicht, weil Lebensmittel, wie der Name schon sagt, zum Leben da sind. Und in dem Moment wo ich sie wegwerfe, nehme ich dem Lebensmittel den Wert und verhindere, dass sie zum Leben sind. Ach es ist so schwierig…

ichalmich: In Frankreich gibt es ja jetzt diese Gesetze gegen Lebensmittelverschwendung, was hältst du davon?

Eva Maria: Garnichts, weil sie es ja auch kompostieren dürfen, im Endeffekt schmeißen sie es weg. Einerseits geben sie es dann Vereinen, die wieder Geld für die Lebensmittel verlangen oder man muss sich als EmpfängerIn dann wieder outen: „Ich bin arm, ich hab kein Geld”. Dieses Kriterium „bedürftig“ ist so eine Sache, weil mittlerweile gibt’s so viele Leute die arbeiten gehen und ihre 1500 € bekommen aber unterm Strich bleibt ihnen auch nichts, weil die Wohnung teuer ist, sie Schulden zurückzahlen müssen oder die Mutter unterstützten. Aber „arm“ sind sie ja nicht, weil sie verdienen ja eh so viel. (sarkastisch)

ichalmich: Was kann man denn deiner Meinung nach machen, damit kein Lebensmittel mehr weggeworfen wird?

Eva Maria:
Für mich hat Kärnten da eine ganz gute Aktion, seit einem Jahr gibt’s diesen Free-Market. Die haben eine Kooperation mit Spar, wo das Übriggebliebene abgeholt wird.  Alle Menschen können am Free-Market Lebensmittel gratis abholen – egal ob man General-Direktor oder ein Obdachloser ist.

ichalmich: Was kann man noch machen, um die Verschwendung zu minimieren?

Eva Maria: Man muss den Leuten klar machen, dass das Mindeshaltbarkeitsdatum ein Mindesthaltbarkeitsdatum ist. Ein Joghurt kann 8 Wochen danach immer noch gegessen werden. Eier hab ich selbst getestet, die sind nach 9 Monaten immer noch in Ordnung. Bei einem Fisch oder Faschiertem ist das was anderes, das hält halt nicht so lange. Aber jeder intelligente Mensch kann riechen, im Notfall schmecken – man schmeckt es, wenn es nicht mehr gut ist. Oder wenn es schimmelig ist, dann sieht man es. Was haben denn unsere Eltern früher gemacht?

ichalmich: Ich hab ja dieses Experiment und schätze Lebensmittel mittlerweile viel mehr, da ich den ganzen Luxus nicht mehr habe. Ist unsere Gesellschaft einfach zu verwöhnt vom täglichen Konsum?

Eva Maria: Ja, sie ist zu verwöhnt. Was ich immer so witzig finde ist, wenn Leute dann sagen, sie leben konsumfrei. Ja, aber das geht halt nur so lange nicht alle mitspielen. Zu sagen, ich leb konsumfrei, aber ich hol mir meinen Fernseher, mein Smartphone und meine tolle Kleidung über beispielsweise Share&Care. Ja, das muss ja vorher auch jemand bezahlen. Also wenn jeder sagt, ich konsumier das nicht, dann geht das vom System her nicht – das kann nicht funktionieren.

ichalmich: Also ist Konsum an sich nichts schlechtes, wenn man ihn mit Maß und Ziel betreibt?

Eva Maria: Genau, man darf die KonsumentInnen nicht verteufeln, aber man muss ja auch nicht alles haben, man muss nicht das neueste Smartphone haben, man braucht nicht die Zwiebeln aus Australien, man kann die auch bei uns holen.

ichalmich: Ist es irgendwann mal vorstellbar Lebensmittel zu verteilen ohne ihnen einen Geldwert zu geben?

Eva Maria: Ist es – weil wir machen das ja auch. Wir verteilen die Sachen vom Brunnenmarkt an AlleinerzieherInnen, Studierende, wer eben aller mitgeht. Und mittlerweile kommen dann auch Leute zum Schluss beim Aufteilen. Roma, Bulgar_innen und so weiter. Die haben auch kein Problem den matschigen Paradeiser zu greifen. Die sind halt jetzt gut und müssen gleich verwertet werden.

Ichalmich: Aber euer Prinzip funktioniert halt auch nur, weil andere für die schönen Sachen bezahlen. Es ist das was übrig bleibt.

Eva Maria: Es ist das was übrig bleibt – aber wenn die Leute nicht so deppert wären … Entschuldigung (hahaha) – dann würden sie das ja auch kaufen. Es muss halt alles superschön sein.

ichalmich: Danke Eva Maria für deine Zeit.

Nach dem Interview hat mich mich Eva Maria noch zum Viktor-Adler Markt eingeladen,  damit ich mir selbst ansehen kann, wie viel dort übrig bleibt. Natürlich auch, um mir einen frischen Vorrat für das Wochenende anzulegen.

Danach gings weiter auf die Donauinsel, wo ich eine schöne Zeit verbrachte. Die Sonne und der gedumpsterte Salat waren ein schöner Abschluss meines geld- und arbeitsfreien Tages. Das Leben ohne Luxus ist gar nicht mal so schlecht.

 

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