NACH OBEN

Während sich das überschattete Prekariat auf den Fernsehabend vorbereitet, glänzen am frühen Abend nur mehr die höchsten Häuser der Stadt im Abendrot der Sonne.

In der Gegenwart in der ich lebe, verspür ich oft die Angst wichtige Gelegenheiten zu verpassen. Spätestens nach dem Film „Butterfly Effect“ wissen wir, wie willkürlich die Gegenwart mit unserer Zukunft umgeht. Alles könnte sich durch die kleinste Entscheidung zum Schlechten oder Besseren wenden. Da hab ich doch glatt vergessen meine Zehennägel zu schneiden und schon verstummen die Hochzeitsglocken. Deprimierend – erst mal ein Rubbellos kaufen.

Betrachten wir das ganze Leben einfach zu ergebnisorientiert?

Ist das, was ich bin, zu wenig oder bekommt es erst dann einen Wert, wenn Systeme, Menschen oder Maschinen darüber urteilen, wie erfolgreich ich bin? Was soll das Wort überhaupt bedeuten – “Erfolg“?

Ein Blick in meine Dokumentenmappe verrät mir zum Beispiel, dass ich mein Bachelorstudium „mit Gutem Erfolg“ bestanden habe. Auch auf der nächsten Urkunde treffe ich wieder auf dieses Wort. Ich habe erfolgreich am PKW Mehrphasen Training teilgenommen. Der ÖAMTC und das Kuratorium für Verkehrssicherheit gratulieren mir übrigens „zu diesem persönlichen Erfolg.“ Ich hab mich nie dafür bedankt, das möchte ich hiermit nachholen. Naja, wenn ich das nicht falsch verstehe, bin ich also nicht erfolgreich im Allgemeinen, sondern erfolgreich im Bestehen und Teilnehmen. Vielleicht sollte das eines Tages auch meinen Grabstein zieren: „Der Staat Österreich und die Abgeordneten des Parlaments gratulieren zur erfolgreichen Teilnahme am Leben.“

Soweit ich mir das zusammenreimen kann ist Erfolg also das, was wir in einer gewissen Zeit schaffen oder schaffen müssen.

Der wirtschaftliche Gärtner gießt und düngt heutzutage seine Pflanzen nur weiter, wenn sie bis zu einem gewissen Zeitpunkt ein gewisses Wachstum erreichen. Masthühner werden von Maschinen getränkt, welche sich elektronisch mit dem körperlichen Wachstum der Tiere NACH OBEN bewegt, damit die Tränke immer in Kopfhöhe ist. In unserem wirtschaftlichen Denken haben sich Pflanzen und Tiere dem Durchschnitt ihrer eigenen Art zu unterwerfen.

Unterwirft sich der Mensch selbst auch einem ähnlichen Algorithmus?

Klar möchte ich meine Arbeit gut machen, eine positive Veränderung bewirken, bla, die fette Kohle scheffeln, um meine Träume zu verwirklichen. Doch wieso zur Hölle packt mich immer wieder das Gefühl weniger wert zu sein, als diese komischen Menschen, die ohne Senfflecken auf dem Shirt und vielleicht sogar mit geputzten Schuhen durch das Leben stolpern? Worauf basieren all diese Erwartungen vom großen Glück und Erfolg?

Wenn ich mir bewusst mache, was ich will, ist alles klar. Die Grundbedürfnisse sind ja schnell befriedigt. Zumindest ist diese Klarheit für den Moment dieser temporären Erkenntnis präsent. Irgendwann übernimmt dann wieder das Unterbewusste mit dem Blick NACH OBEN und beginnt, mich mit anderen zu vergleichen.

Befriedigend ist demnach nur das Joggen in der durchschnittlichen Geschwindigkeit meiner Artgenossen.

So vieles, das uns durchs tägliche Leben schleift, läuft in Automatismen ab. Sich über den eigenen Antrieb bewusst zu werden wäre wünschenswert, bevor man erfolgreich dort ankommt, wo man nie enden wollte. Doch ist es praktisch überhaupt möglich schwindelfrei darüber nachzudenken, während wir immer schneller und schneller im Kreis laufen?

Vlt. bringt es mir ja mehr nachhaltige Erkenntnis mich im eigenen Tempo durch den Schatten zu bewegen, bevor ich den Kopf zu sehr NACH OBEN recke und mir den Kopf am Stopschild stoße. Will ich überhaupt hoch hinauf?  Was ist da oben? Hauptsache oben stehen und die Visage in die Sonne halten? Wieso baut man überhaupt so große Schattenspender?

Erfolg ist meines Erachtens ein Begriff, der sich an dümmlichen kapitalistischen Paradigmen aufhängt. Qualifikationen, Prestige, Anerkennung, Reputation, Reichtum. Ist es das wirklich wert sich in diesen Kreislauf zu manövrieren, der ständig fordert mehr zu werden, mehr zu schaffen, mehr zu sein?

Sie haben erfolgreich das Lesen dieses Textes absolviert. Ich als mich, und das Kuratorium für Querdenkerei, gratulieren zu diesem persönlichen Erfolg.

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