(Fiktionale Kurzgeschichte)
Gönül steht auf dem Türschild und ein paar Meter dahinter in der Küche mit seinem Nachbarn Josef. Hakan beginnt langsam und unbeholfen eine Zwiebel zu schälen.
Josef: Dein Name hat doch sicher eine Bedeutung?
Hakan: Gönül ist türkisch und steht für das Verlangen, die Leidenschaft und Hakan ist ein türkischer und mongolischer Herrschertitel. Was bedeuten deine Namen?
Josef: Naja der Josef, Sohn Jakobs. Frag mich nicht, ich hab die Bibel nie gelesen. So einer von denen ist das eben.
Hakan: Und Brunner, was bedeutet das?
Josef: Bestimmt die Berufsbezeichnung. Mein Name ist Josef und ich bin Brunnenmacher.
Hakan: Haaaallo Joooosef!
Josef: Schon meine Vorfahren haben im Dreck gegraben. So sind wir eben. Einmal Brunner – immer Brunner, am Boden angekommen sehen wir noch Luft nach unten.
Hakan: Wenn man sich aus seinem eigenen Leben mal ein wenig hinaus denkt, wird man unweigerlich vor die Frage gestellt, wie man sich denn Objektivität oder mit noch viel mehr Fantasie eine Vogelperspektive von der Gesellschaft vorstellen muss.
Josef: Glaubst du, dass sich die Zwiebel auch irgendwie aus ihrer Schale hinausdenken kann, oder müssen wir uns einmal mehr mit der Physik des Lebens anfreunden?
Hakan: Überleg doch – was passiert denn außerhalb meiner direkten Wahrnehmung.
Josef: Im Zwiebelkontext gesehen, eher weniger!
Hakan: Was weiß ich schon mit meiner beschränkten Sichtweise. Schlussendlich bin ich nur gefangen in meiner eigenen Welt – Protagonist in meinem Film, der nicht mit dem Aufstehen, Popcorn vom Schoß klopfen und dem Verlassen des Kinos endet, sondern einfach nur mit dem letzten Satz und den Credits.
Josef: Okay ich verstehe, der Film steht als Metapher für das Gefühl dein Tag hätte mehr Bedeutung, wenn du noch die großen philosophischen Fragen beantwortest? Für was stehen dann die Credits? Meinst du den Grabstein, auf dem noch der kluge Spruch „Nur die Zwiebel hat überlebt!“ draufsteht?
Hakan: Ich sag‘s dir, auch in den Credits deines Films tummeln sich viele Namen und Erfahrungen, Menschen, mit denen du aufwuchst, scheinbar zufällige Situationen, Schlagwörter aus dem Fernsehen, ein Sonnenbrand. Unterm Strich macht all das unser bürgerliches demokratisches Grundverständnis aus, der Respekt gegenüber Menschen und nicht zuletzt warum ich gerade so gar keinen Bock auf Zwiebel schälen hab.
Einfach alles, an das wir denken und nach dem wir handeln liegt dem zugrunde, was wir Tag für Tag bis heute vor den Kopf geworfen bekommen haben und wie wir das aufgrund meiner unserer Erfahrung interpretiert haben. Was kochen wir hier eigentlich?
Josef: Bildung, du redest von Bildung oder? Trotzdem hörst dich an wie ein Philosophie Student, der im Endstadium seiner Akne aufblüht und den ganzen Abend versucht eine Maturantin an der Bar zu beeindrucken, doch keinen Plan hat was er tun soll, wenn sie wirklich mit ihm nach Hause geht. Da liegen ja noch die Socken am Bett und eine halb geschälte Zwiebel in der Küche.
Josef nimmt Hakan die Zigarette aus der Hand und lehnt sich an die Kante des Tisches.
Hakan: Ich hab jetzt echt Bock auf Saufen und Ausgehen!
Beide starren sich in Gedanken vertieft an.
Josef: Ich hab nochmals überlegt was du gesagt hast. Ich mein‘ meine Kindheit bis jetzt. Anfangs ein ständiger Wandel und Kampf mit Formen, Normen, Definitionen und Religionen, doch mit zunehmender Zeit führen neue Erfahrungen in die bereits gelegten Bahnen und der Mensch wird zum Ideologen.
Hakan und Josef (vorsichtig, zögerlich, langsam): Wenn jeder Augenblick die Macht hätte, das eigene Schicksal grundlegend zu verändern….
Hakan: Würden wir dennoch im Meer der scheinbar unendlichen Möglichkeiten nur das praktische Stück Holz suchen, an das wir uns alle klammern…
Josef: …. um nicht zu ertrinken. Na gut, das ist ein pessimistischer Ansatz und gewiss gäbe es in unserer Vergangenheit Erfahrungen um das zu relativieren.
Hakan: Anscheinend aber nicht genug davon um es wirklich zu tun!
Stille
Josef: Über was reden wir?
Hakan: Ich nehme mir gerade einfach nur die Freiheit, mich selbst nicht den gängigen Formen zu unterwerfen. Wie der Teig aus dem herzförmige, runde, sternförmige oder vielleicht sogar dreieckige Kekse gestochen werden. Romane, philosophische Meisterwerke oder die Headlines in der Kronenzeitung. Alles in Klischees gepresst – so, dass es auch der Bauarbeiter versteht, der täglich an der Würstchenbude strandet und sein Dosenbier bis zur gänzlichen Leere umklammert.
Josef: Na das eben war wohl auch ein krasses Klischee!
Hakan: Ja, wir brauchen Klischees!
Josef: Warum?
Hakan: (gelassen und langsam) Keeeeeine Ahnung.
Josef: Na, wenn wir so negativ weiterdenken, werden wir es nie schaffen einen Blick von oben auf die Gesellschaft zu werfen, um die große Erkenntnis zu erlangen.
Hakan: Was soll’s, lieber als undefinierter Teigklumpen verschimmeln, als in der Rolle des unmündigen Vanillegipferls die Münder des Volkes gezuckert zum Verstummen bringen.
Josef: Woa geil, Vanillegipferln.
Hakan: Wäre ja auch langweilig, wenn man nach einem Gedanken nicht vor fünf anderen stehen würde.
Josef: Was meinen wir eigentlich wenn wir sagen, ich hab einen Gedanken, ich mein …
Hakan: (unterbricht) Solln wir Vanillegipferln backen?
Josef: Ahhhh… Es ist so schön, dass du es aussprichst, ich hab eben daran gedacht.
Hakan sieht Josef an, lächelt und umarmt ihn. Und so verschimmelte die Zwiebel, trotz philosophisch ungelöster Fragen, im Hintergrund einer guten Freundschaft.