Tag 1 – Eine romantische Reise beginnt

Ich wusste nicht wirklich, auf was man sich mit dieser Entscheidung einlässt. Es klang so romantisch, mich einen Monat dem Konsum zu entsagen, ohne Geld zu leben.

Ich weiß immer noch nicht wirklich, was meine Motivation dafür ist. Vielleicht, weil ich es einfach verlernt habe, Lebensmittel zu schätzen. Vielleicht sind einfach zu viel hartes Brot und zu viele Essensreste in den Hausmüll gewandert.

Tu es einfach
Unvorbereitet startete ich in den ersten Tag – irgendwie geht das schon. #nomoney, #noworries. Der Gedanke, dass es nicht ganz so einfach wird, schwebte irgendwo im Schatten meiner romantischen Euphorie. Mit einem leichten Hungergefühl erwachte ich im Wissen, dass der Kühlschrank schon seit einiger Zeit leer war. Blöd irgendwie. Am Weg zur Arbeit wollte ich mir noch schnell Frühstück besorgen. Die Zuversicht war ein schöner Wegbereiter, doch ob sie auch meinen Hunger stillen konnte?

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Am Rochusmarkt quatschte ich am Obst- und Gemüsestand mit einer sehr lieben Frau. Natürlich hatte ich die Hoffnung, dass sie etwas mehr als Sympathie für mich übrig hat. Viel weggeworfen wird hier nicht, meint sie. Überschüssiges Obst wird zu Kuchen, Marmeladen, Kompott etc. Mit dieser Geschichte wollte ich eigentlich nicht in den Tag starten, eigentlich wollte ich in meinem Vorurteil, dass der moderne Mensch eine geringe Wertschätzung gegenüber Lebensmitteln hat, bestärkt werden.

Na gut, kurzerhand startete ich noch zum Naschmarkt, der ja für seine aufsässigen Kostproben bekannt ist. Eigentlich wollte ich ja nicht zum Schnorrer werden, aber in dem Fall konnte ich mir das noch schön reden, immerhin werde ich ja gefragt, ob ich was kosten will und nicht umgekehrt. Ein viel zu kleines Stück getrocknete Melone später landete ich an einem Gemüsestand. Der Verkäufer meinte, dass übrig gebliebenen Waren am Samstag von der Wiener Tafel abgeholt werden. Diese Lebensmittel werden aufbereitet und bedürftigen Menschen geschenkt. Blabla, ich hab Hunger, lass mal lieber einen Apfel rüberrollen – dacht ich mir.

Nun war da neben dem Hunger auch noch der Gedanke, dass ich mit meinem Experiment einfach zu spät dran bin und die Lebensmittelüberproduktion längst gut sozialisiert ist.

Ab in die Arbeit, schließlich kann ich ja nicht den ganzen Vormittag mit Nahrungssuche verbringen. Neben dem Bürokram öffneten sich immer wieder Fenster im Browser wie foodsharing.at. Wow, tolles Konzept. Wer was zu viel hat stellt es rein und lässt es bei sich abholen. Es gibt in Wien auch sogenannte Fair-Teiler. Das sind Kühlschränke, an verschiedenen Standorten. Sie sind gefüllt mit Lebensmitteln, die vor dem Müll gerettet wurden. Man kann einfach hingehen und sich etwas nehmen oder zum Foodsaver werden und etwas geben. Da klappere ich doch gleich mal den Fair-Teiler ums Eck ab. Klar war der leer, das wäre auch viel zu einfach gewesen.

Fair-Teiler

Zurück in der Arbeit bot mir eine liebe Frau Kürbiskernknabberzeug in einer Facebook Gruppe an. 33 Minuten entfernt von meinem Büro. Soll ich mich nun wirklich durch den öffentlichen Verkehr kämpfen, um meinen Hunger mit süßem Knabberzeug zu bombardieren? Für mich verwöhnten konsumgleilen Europäer war ja schon der Weg zum Supermarkt eine Qual und jetzt die ganze Tortur wegen einer Hand voller Kürbiskerne? Mein Hirn sagte FUCK IT, mein Bauch war schon am Antworten. „Super, danke, ich mach mich auf den Weg.“ Eine halbe Stunde später kam ich an und läutete gespannt an der Tür. Die Dame hatte bereits 3 Packungen Knabberkürbiskerne in der Hand. Mein erster Gedanke: Verdammt, die sahen aber auf dem Foto größer aus. Ich fragte mal skeptisch, warum sie die denn loswerden will. Es war ein Geschenk und süße Sachen sind nicht so ihr Ding. Na gut, ich bedankte mich höflich und machte mich an der Verpackung reißend auf den Weg durch das Stiegenhaus. Ich fand es sehr lieb, dass sie sich wirklich die Mühe machte, die Packungen loszuwerden, anstatt den bequemen Weg in die Tonne zu wählen. Ich verspürte zu meiner eigenen Überraschung ein starkes Glücksgefühl, als ich die Packung an meinen Mund hielt um möglichst viele Kerne in mich reinzukippen.

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Wenn man immer wohlgenährt durch das Leben stolpert, sieht man die Welt mit anderen Augen. Übrigens, unterzuckert fühlt man sich wie leicht angetrunken. Die Knabberkürbiskerne taten schnell ihre Wirkung und mein Hungerzorn war passé.

Über Facebook schrieb mich ein Freund an, er würde mit mir dumpstern gehen. Ich war immer noch unzufrieden mit meiner Ausbeute und machte mich auf den Weg in seine WG. Dumpstern war mir ja nicht ganz fremd. Ich wurde gleich mit der Einladung begrüßt, ob ich auf gedumpsterte Kartoffel mit Tomatensauce bock hab. Ich überlegte kurz, ob das nicht irgendwie Verrat an der Sache ist, immerhin wollte ich nach meiner Naschmarktaffäre nicht mehr schnorren. Doch es geht mir ja darum, kein Geld in welcher Form auch immer zu brauchen. Wenn diese Kartoffeln schon mal in der Tonne lagen, haben sie ja jeglichen Geldwert für die Gesellschaft verloren – dachte ich mir mampfend und zufrieden. Es war schön zu sehen, wie sich die Menschen um dich kümmern und für dich da sind, auch wenn du dir selbst diese Bürde aufgezwungen hast.

Das Hungergefühl war nun um ein paar Stunden verschoben. Los geht’s. Dumpstern oder Containern, wie man dazu sagt, ist die Bezeichnung dafür, Lebensmittel aus Müllräumen von Supermärkten zu „retten“. Das war mir nicht ganz fremd, da ich in meiner Vergangenheit schon mal damit konfrontiert war. Nach diesem Abend tendierte ich wieder zu meinem Vorurteil. Lebensmittel haben nur den Wert der ihnen zugeschrieben wird. Hässliche Lebensmittel wollen eben nicht gegessen werden. Wir wanderten von einem Müllraum zum anderen und füllten unsere Taschen mit wunderbarer Lebenskraft. Ich konnte es kaum fassen, warum diese Missstände immer noch vorherrschen. Jeder Konzern schreibt sich doch längst Nachhaltigkeit auf die eigene Flagge.

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Der Abend endete mit einem festlichen Mahl und ich fühlte mich glücklich in meiner Entscheidung. Nahrung ist in nächster Zeit sicher ein großes Thema, doch es wird nicht das Problem werden, mit dem ich mich in diesem frisch angebrochenen Monat herumschlagen muss. Viel mehr werde ich mir die Fragen nach den Mechanismen stellen. Was läuft schief, dass so viele Lebensmittel in der Tonne ihr Ende finden?

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Ein Gedanke zu „Tag 1 – Eine romantische Reise beginnt

  1. Elfriede sagt:

    Ja es ist die Idee das alles FRISCH sein muß….es darf nicht ALT werden.Wir würden NACHREIFEN dazu sagen….doch dafür haben wir kein Auge…und keine ZEIT.

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